Liebe Leserinnen & Leser,
nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Aber was für ein Weihnachtsfest werden wir dieses Jahr überhaupt feiern? So vieles wird anders sein. So vieles wird eingeschränkt sein. So vieles wird es nicht geben. Wie passt da der Wochenspruch für die kommende Woche? „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich euch: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ (Philipper 4, 4-55b). Ein Hoffnungsgebet, das diese alten Worte neu zu deuten versucht, möchte dazu Antwort geben. Ich lade Sie ein, es mitzubeten:
„Freuet euch in dem Herrn“
Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Unsere Freude wollen wir weitergeben. Freuet euch! Gott ist nahe! Sorget euch nicht zu sehr. In allen Dingen will ich mein Bitten im Gebet und mit Danksagung vor Gott bringen. Denn der Friede Gottes ist höher als alle meine Vernunft. Er bewahrt mein Herz und meine Sinne, in Jesus Christus. AMEN! (nach Philipper 4, 4-7)
Gnade sei mit uns allen und der Friede Gottes, welcher uns geschenkt ist, durch Jesus Christus, unseren Herrn. AMEN!
Liebe Gemeinde,
in diesen Adventstagen fasziniert mich immer wieder, mit welcher Freude, trotz Corona, unsere kleine Emma auf die vielen schönen Lichter in unseren Straßen und an den Häusern unseres Ortes reagiert. Das große Fest mit seinen vielen schönen Dingen steht vor der Tür. Wir Erwachsenen sind da manchmal etwas nüchterner, was diese Begeisterung, diese Freude betrifft. Eher zurückhaltend, etwas reservierter. Wir kennen vieles schon, getreu nach dem Liedtitel: „Alle Jahre wieder“.
Und doch, ich bin mir sicher, auch wir kennen sie und haben sie in dieser Adventszeit hoffentlich auch erlebt: Diese Momente, in denen wir uns unbeschreiblich freuen. Momente in denen wir einfach glücklich sind. Gewiss, viele Erfahrungen der letzten Zeit und vor allem der letzten Tage waren für viele von uns wohl eher große Enttäuschungen oder gar Nackenschläge. Beruflich wie privat sind viele Menschen in ihren Rhythmen des Familien- und Alltagslebens durch den erneuten Lockdown hart getroffen.
Wie kann sich da, jetzt kurz vor Weihnachten, eine solche Freude einstellen, von der wir eben in dem Hoffnungsgebet gelesen haben? Eine Freude, die einem inneren Glühen gleichkommt. Eine Freude, die die Welt mit anderen Augen sehen lässt. Wärmer. Heller. Hoffnungsvoller. Freude als Sehnsuchtsmoment.
Im Zuge der Corona-Pandemie mit all ihren Lebenseinschränkungen, haben wir in den letzten Tagen eher still und leise den 250. Geburtstag eines großen Komponisten gefeiert. Vermutlich am 16. Oder 17. Dezember 1770 kam in Bonn Ludwig van Beethoven zur Welt. Das Musikgenie hat uns Klänge und Melodien hinterlassen, die bis heute nachhallen: „Für Elise“ oder die sog. 9. Sinfonie mit der Melodie der sog. „Europahymne“ und dem Text von Friedrich Schiller „Freude schöner Götterfunken“. Letzterer ist zu einem der bekanntesten Lieder über die menschliche Freude geworden. Die Ode an die Freude.
Freude schöner Götterfunken
Tochter aus Elysium,
wir betreten feuertrunken,
Himmlische dein Heiligtum!
Deine Zauber binden wieder
Was die Mode streng geteilt.
Alle Menschen werden Brüder,
wo dein sanfter Flügel weilt.
Ein Freudenlied. Niedergeschrieben von Friedrich Schiller, vielleicht in einem Moment unbändiger Freude. Und wahrscheinlich auch nicht allein. Bestimmt saßen andere mit Schiller zusammen. Eine fröhlich ausgelassene Runde war da wohl beieinander, die es so unter den jetzigen Umständen wohl nicht geben könnte. Aber nehmen wir dieses Bild einfach einmal auf: Da sitzen Friedrich Schiller und einige Andere zusammen und der Wein oder das Bier wird neben dem Festessen ordentlich ausgeschenkt. Fast wie bei einem klassischen Weihnachtsfestessen am 1. Weihnachtsfeiertag. Eine fröhlich, ausgelassene Runde also. Und plötzlich beginnt einer der Anwesenden zu erzählen. Vielleicht so, wie es auch bei uns dieses Jahr, an und um Weihnachten herum wohl so manche Gespräche geben wird: Wisst ihr noch, wie das war, letztes Jahr? Mit welcher Freude wir mit den anderen zusammen gefeiert haben?
Eine ähnliche Freude ist es auch, die uns der Apostel Paulus vermitteln will. Seine Worte, sie sind auch eine einzige Ode an die Freude. Seine Worte sind aber auch Worte aus einer Gefängniszelle. Paulus hat den Tod vor Augen. Er befindet sich von der Gefühlslage weitestgehend in einer vergleichbaren Situation, wie derzeit viele Menschen in unserem Land, die in Angst vor dem Corona-Virus oder in innerer Unruhe und Hilflosigkeit in Bezug auf ihre eigene Situation leben. Wie kann ein Mensch da von Hoffnung und Freude reden?
Paulus ist von Freude erfüllt, weil er sich von Gottes Nähe gehalten und beflügelt fühlt. Der Theologe Helmut Thielicke sagte einmal: „Es steht für mich ein Platz in Gottes ewigem Reich, der voller ungetrübter Nähe und Friede ist.“
Wer das einmal erlebt hat, sich getragen und beflügelt zu wissen von dieser Hoffnung des christlichen Glaubens, der weiß, dass das ein Grund zu Freude ist. Trotz aller derzeit dunklen und niederdrückenden Zukunftsaussichten. Die Aussicht, „Der Herr ist nahe!“, ermutigt uns, dazu, sich an Gott zu wenden. Er kann uns Freude, Lebensfreude, wieder ins Gesicht und ins Herz setzen.
„Freude schöner Götterfunken“. Wenn wir etwas Erfreuliches erleben, dann freuen wir uns, freuen wir uns auch mit den anderen. Dann kann uns diese Freude ergreifen. Wer sich freut, dem ist das anzusehen, obwohl wir Menschen in unserer Freude durchaus verschieden sind und obwohl die Corona-Pandemie vielen Menschen gerade viel Freude nimmt. Immer aber, wenn wir uns freuen, auch in diesen Tagen, kann es geschehen, dass wir über uns hinauswachsen. Sorgen und Kummer für einen Moment in den Hintergrund geraten und Grenzen scheinbar überwunden werden. Oder mit Schillers Worten umschrieben: „Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt, alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“
So singt damals vermutlich die fröhliche Runde. Sie lassen ihrer Freude freien Lauf. Das können wir dieser Tage gar nicht oder zuweilen nur stark eingeschränkt in einem sehr überschaubaren Kreis von Personen. Doch die Wirkung dieser geteilten Freude ist damals wie heute die gleiche: Es verschwinden oder treten die Dinge zurück, die uns Menschen voneinander trennen: Herkunft, Besitz, Leistung oder auch Arm und Reich. Auch Sorgen, Streit oder Klage können für einen Moment vergessen sein.
Die Freude macht Grenzen durchlässig. Damit ist sie bei Weitem keine Flucht vor den Problemen, die uns aktuell umtreiben. Sondern sie ist ein Gespür für das, was uns wahrhaft im Leben hält, woher wir Kraft und Mut zum Leben bekommen. Auch dann, wenn man wie aktuell viele Menschen in unserem Land und wie Paulus damals im Gefängnis, scheinbar kein Licht mehr am Ende des Tunnels sieht.
Deshalb fordert uns Paulus zur Freude auf. Sie bringt uns in Kontakt mit Christus, als Grund aller Lebensfreude. „Freude schöner Götterfunken“. Bei Paulus springt der Freudenfunke deshalb über, weil er Christus an seiner Seite weiß. Wie ist das bei uns? Kann der Funke der Freude auch in dieser so außergewöhnlichen Adventszeit überspringen? Ludwig van Beethoven schildert uns ein wunderbares Erlebnis für einen solchen Übersprung göttlich geschenkter Freude. Trotz allem Trennenden, aller Sorgen, aller Krisen und Nöte, lässt er an verschiedenen Stellen der 09. Symphonie den Chor singen: „Diesen Kuss der ganzen Welt. Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“ Und das ist nicht einfach so daher gedichtet. Sondern in den Momenten, wo der Freudenfunken überspringt, da können wir erleben, dass das wahr ist. Das da ein Gott ist, der diese Welt und auch mich in seinen Händen hält. Der uns Kraft gibt. Der uns Frieden schenkt.
Ich wünsche es uns allen, dass wir trotz der vielen Einschränkungen und Sorgen, die feierlichen Stunden des vor uns liegenden Weihnachtsfestes genießen können. Denn die Erwartung lässt sich nicht unterkriegen. Die frohe Erwartung, ergriffen zu werden von dem Gefühl der Hoffnung, welches uns Gott zu Weihnachten schenkt. Dieses Gefühl der Hoffnung ist auch dieses Jahr da. Und wir können es auch dieses Jahr wiederfinden. Nicht irgendwo, sondern in der Frische des Anfangs, in der Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem. Ergreifen wir es doch.
„Seid umschlungen Millionen.“ „Alle Menschen werden Brüder.“ „Freude heißt die starke Feder.“ Das sind keine Träumereien oder Fantasiewelten. Nein, hier wie auch in den Worten des Apostel Paulus spricht uns eine Lebensgewissheit an: Wir können diese Freude finden, wenn wir der Friedensbotschaft Jesu glauben, die „höher ist als alle unsere Vernunft.“ Oder wie es Johann Sebastian Bach in seinem Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier“ vertonte: „Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen.“ Dieser Blick auf Advent, auf das Weihnachtsfest, möge uns neuen Lebensmut und eine zähe Hoffnung schenken. Solch göttliche Freude wünsche ich uns allen. Sie möge uns geschenkt werden in den verbleibenden Tagen im Advent und in der kommenden Weihnachtszeit. AMEN!
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Jesus Christus, unseren Herrn. AMEN!

