Das Predigtwort steht im Philipperbrief (Kapitel 2, Verse 1 bis 5):
Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.
Die Predigt von und mit Pfarrer Paul-Gerhard Feilcke und Kantorin Katrin Feichtinger (musikalische Gestalltung) steht Ihnen bei YouTube zur Verfügung. Teil 1 des Gottesdienstes vom 4. Juli 2021 finden Sie hier:
Teil 2 des Gottesdienstes vom 4. Juli 2021 finden Sie hier:
Am Ende des Beitrags steht die PREDIGT zusätzlich als PDF Datei zur Verfügung.
AUF DER SUCHE NACH GOTT!
Liebe Leserinnen & Leser,
nach einer gefühlten Ewigkeit feiern wir an diesem Sonntag erstmals seit Weihnachten letzten Jahres wieder einen Präsenzgottesdienst. Natürlich, eingeschränkt und nicht in gewohnter Art und Weise, wie vor der Corona-Pandemie. Zu viele Dinge sind seit über einem Jahr geschehen, die uns immer noch daran hindern, zu der altbekannten Normalität und zu den so vertrauten Gewohnheiten zurückzukehren, die wir bis in den Februar 2020 hatten und lebten.
Mit Blick auf diese hinter uns liegende Zeit aber nun auch mit Blick auf die aktuelle Situation dieser Tage, stellt sich vielen Menschen in unserem Land vermutlich dringlicher denn je die Frage: Was hindert uns noch? … …
Diese Frage skizziert unterschwellig, dass derzeit alles bestimmende Thema, insbesondere der vergangenen Tage und Wochen, in denen die Impfkampagne deutschlandweit weiterläuft und wir von den Inzidenzwerten in vielen Regionen weit ab eines kritischen Grenzwertes sind. Also, was hindert uns noch? …
Es ist eine Frage, die an der Zeit ist. Denn sich nach wie vor stark einschränken zu lassen oder sich selbst weiter stark zurückzunehmen, im Drang, die eigenen Interessen zu verwirklichen, begrenzt zu werden – das gefällt immer mehr Menschen in unserem Land nicht. Verständlich einerseits, denn das widerstrebt in gewisser Weise auch unserer menschlichen Natur, die darauf aus ist, immer mehr zu bekommen und sich einzuverleiben. Koste es, was es wolle. Nehmen wir nur beispielhaft die Geschichte vom Turmbau zu Babel im Alten Testament der Bibel. Dieses Symbol menschlicher Anmaßung und Maßlosigkeit, wiederholt sich bis heute in unterschiedlichsten Variationen. Wir wollen nicht nur möglichst alles unter Kontrolle haben und darüber zuweilen sogar herrschen, sondern auch über uns gegenseitig wollen wir am liebsten allein bestimmen! Die Corona-Pandemie hat aber nun bei vielen Menschen in den letzten Monaten die Einsicht dämmern lassen: Moment, so geht es nicht weiter – nicht im Blick auf unsere Gesellschaft. Nicht im Blick auf die Arbeitswelt. Nicht im Blick auf die sozialen Ungerechtigkeiten. So geht es aber auch nicht weiter mit Blick auf diese Welt, wo die Ärmsten und Elendsten, wie so oft in der Geschichte, am Schlimmsten von einer globalen Krise betroffen sind. Erinnern wir uns nur an die Bilder von Massengräbern dutzender Corona-Toter aus Südamerika.
Wir haben nur diese eine Welt und sind verantwortlich in unserem Füreinander- und Miteinander-Dasein! Davon war und ist in vielen Kirchen Deutschlands und auf vielen Kanzeln immer wieder die Rede. Und das ist auch richtig. Ich mag die unzähligen Menschen vom Verstand her gar nicht fassen, die sich in den Höchstzeiten der Corona-Pandemie für andere aufgerieben und sogar geopfert haben. Aber wir machen doch auch immer wieder die Erfahrung: Einsicht allein zügelt uns mitnichten. Wir können bestimmte Zusammenhänge tausend Mal wissen – unser Verhalten ändern wir trotzdem nicht. Wir wissen, was uns schadet – und richten uns nicht danach. Der Umgang mit den Einschränkungen, die Corona uns abverlangt, ist dafür nur ein aktuelles Beispiel. Viele erleben sie nur noch als Eingriff in die persönliche Freiheit und rebellieren dagegen. Verbote und Sanktionen sind nur bedingt imstande, uns zu hindern. Sie locken uns eher, sie zu übertreten. So war es schon im Paradies: Die Frucht nur dieses einzigen Baums war tabu, alles andere stand in Hülle und Fülle zur Verfügung. Aber genau das weckte das Begehren, sich auch des letzten Restes zu bemächtigen. Zur Selbstbescheidung sind wir nicht angelegt, sagte mir diese Geschichte. So ist es leider geblieben. Bis heute! Unser achtloser Umgang belegt das nur: Unzählige Argumente fallen uns ein, unsere Einstellung und unser Verhalten nicht ändern zu müssen.
Wie steht es da mit der Demut? Demut war lange Zeit ein eher verpöntes Wort, das zudem gerade in kirchlichen Zusammenhängen allzu oft missbraucht wurde. Es kam viel zu oft denen zugute, die die Macht innehatten, und hatte zuweilen schreckliche Folgen für Andere – an Leib und Seele. Demut galt lange Zeit als Verbrämung von Schwäche!
Erinnern Sie sich noch an den Anfang der Corona-Pandemie? Da erlebte die Demut eine eigentümliche Renaissance, zum Beispiel in der Welt des Profifußballs. Man traute seinen Ohren nicht, als in den ersten Wochen des Lockdowns im letzten Jahr auf einmal davon gesprochen wurde, mit den inflationären Gehalts- und Ablösezahlungen, dem ganzen Gigantismus und der damit gefühlt verbundenen Dekadenz müsse es ein Ende haben. Es sei Demut angesagt! Und alle nickten verständnisvoll, weil es in diese Wochen hineinpasste. Nun hat der Spielbetrieb seit Monaten wieder volle Fahrt aufgenommen – und wie! Kommen Sie jetzt mal mit Demut! Sie werden von vielen Verantwortlichen mitleidig angeschaut. The Games must go on! Bester Beleg, die derzeit stattfindende kontinentale Europameisterschaft im Profifußball der Herren. Selbst nachdem es nun dutzende Corona-Infektionen gegeben hat, durch Stadionbesuche und Reisen in die Spielstädte, stellt sich von selbst so etwas wie Einsicht oder gar Demut bei vielen Offiziellen und Verantwortlichen nicht ein.
Doch ich komme vom Eigentlichen weg. Diese erste Predigt nach so langer Gottesdienstpause soll keiner der unzähligen Vorträge sein, der betont, wie dringend notwendig es ist, unser Verhalten zu verändern und Demut – im wahrsten Sinn des Wortes – »zu üben«. Vielmehr geht es darum, wie wir tatsächlich dazu kommen, zu entdecken, wie das mit unserem Umgang mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit der Welt, in der wir leben, ist.
Auch der Apostel Paulus spricht im Philipperbrief von »Demut«. Eigentlich war er mit dem sozialen Verhalten der dortigen Christen ganz zufrieden. Aber es fehlte ihm noch etwas, das das Zusammenleben in der Gemeinde, aber auch weit darüber hinaus prägen sollte: dass noch mehr Liebe und gegenseitige Rücksichtnahme spürbar wären, dass die eigenen Interessen um der anderen willen zurückgestellt werden, dass achtsam miteinander umgegangen wird und sich der Blick nicht nur auf sich selbst und den eigenen Erfolg, sondern auf das Wohl und die Wertschätzung aller richtet. Anstelle von Eigennutz oder Eitelkeit oder Maßlosigkeit sollen wir uns, um der Gemeinschaft willen, ein Stück zurücknehmen. Das ist der Appell, den Paulus an uns richtet. Aber wie gesagt: Manchmal richten Appelle etwas aus – und oft eben nicht.
Das Geheimnis der Demut, wie Paulus sie versteht, erschließt sich uns in ihrer ganzen gestalterischen Kraft erst, wenn wir seine Ausführungen von ihrem Ende her lesen. Er schreibt am Schluss: „Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“ Unser Verhalten wie unser Handeln ändern wir meist dann am ehesten, wenn wir Vorbilder haben, die glaubhaft und überzeugend sind: „authentisch“. Hier aber geht es um mehr! Nicht bloß um Orientierung an Jesus als Vorbild oder Gut-Mensch. Es geht vielmehr darum, dass er in uns Gestalt gewinnt. Und das geschieht nicht durch noch so wohlgemeinte Appelle, sondern nur in der vertrauensvollen Hingabe an ihn. Demut erwächst daraus, dass wir Christus in uns Raum geben, ja, dass wir werden wie er, weil er in uns lebt und wir immer mehr versuchen nach seinen Worten und Taten zu leben. Das klingt gut, ich weiß. Und ebenso weiß ich, dass das richtig, aber richtig schwer ist. Nicht mehr darauf ausgerichtet zu sein, was allein mir nützt und womöglich anderen schadet, sondern auf Christus, der in uns wohnt, uns zu seinem Bild formt und uns dadurch befähigt, den eigenen Stolz und den eigenen Hochmut loszulassen und uns anderen hinzugeben. So lebt Jesus in uns, in dir und in mir.
Ja, vielleicht ist mit dem heutigen Sonntag und dem damit hoffentlich beginnenden Neuanfang in unserem Gottesdienst- und damit auch Gemeindeleben vor allem solche Demut gefragt: Demut die zuallererst Sache des Glaubens, des sich rückhaltlosen Verlassens auf Christus ist. Dietrich Bonhoeffer hat das am Schluss seines Buches „Nachfolge“ folgendermaßen ausgedrückt: „Weil er selbst sein wahrhaftiges Leben in uns führt […], darum können wir ‚gesinnt sein wie Jesus Christus auch war‘, darum können wir dem Beispiel folgen, das er uns gelassen hat.“
Solcher Demut fehlt alles Krampfhafte oder Verbissene oder Heuchlerische. Wir müssen uns nicht aufspielen und schon gar nicht an Gottes Stelle setzen. Diese Demut rückt unsere Maßstäbe zurecht: Was wir sind, sind wir durch Christus. Und wie wir sind, ebenso.
Um diese Kraft zur Demut, die in Wahrheit eine große Stärke ist, können wir ihn bitten. Und wenn wir das tun, dann verliert Demut ihren antiquierten, einengenden Klang und wird zu einer lebenswerten und unser Leben verändernden Haltung. Und wir als Schwestern und Brüder bekommen eine Ausstrahlung, die weit über unsere Kirchen hinausgeht. So können wir einander höher achten als uns selbst, brauchen nicht mehr auf unseren eigenen Vorteil aus sein und erfahren an uns selbst, wie befreiend das ist. Unsere Welt sähe wirklich anders aus! Die Frage lautet, biblisch bedacht, am Schluss nicht mehr: Was hindert uns? Sondern: Wer hindert uns? Und die Antwort des Glaubens lautet dann: Eigentlich niemand. Christus selbst ist es, der uns hilft, alle Hindernisse zu überwinden. Genau das entspricht der Gemeinschaft mit ihm. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne, in diesem Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, der uns die größte aller Freiheiten geschenkt hat: die wunderbare Freiheit der Kinder Gottes.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und einen guten Start in die neue Woche,
Ihr Pfr. Paul-Gerhard Feilcke

