Der Monat Januar ist die neue Fastenzeit des Jahres. Noch leicht übersättigt nach den Weihnachtsfeiertagen und Silvester, soll im Januar nun alles leichter, besser und vor allem gesünder werden. Die lästigen Weihnachtspfunde loswerden, wieder mehr in Bewegung kommen, den Kopf frei kriegen, den Körper entschlacken, besser schlafen… für viele gehört zum Neujahrsfastenprogramm mittlerweile nicht nur weniger und gesünder essen und mehr Sport dazu, sondern auch der Verzicht auf Alkohol. Und so wird im „Dry January“- dem „trockenen Januar“ das Glas Wein zum Essen oder das Feierabendbier ersetzt durch Wasser, Tee oder vielleicht eine möglichst zuckerarme Saftschorle. Einschlägige Blogs oder Artikel zum Thema preisen die positiven Effekte dieser vierwöchigem „Entgiftung“ auf Körper und Geist: Wacher, klarer, schlanker, mit neuer Energie versehen, sich selbst und seinen Körper bewusster wahrnehmend, so soll es sich anfühlen.
Nun bin ich eher eine moderat Januar- Fastende, die sich auf den klassischen Verzicht auf Alkohol und Schokolade beschränkt, wie ich es schon früher in den „Sieben- Wochen- ohne“ vor Ostern praktiziert habe. Insofern bleibt bei mir wahrscheinlich der bewusstseinsverändernde Wow-Effekt aus. Allerdings bin ich dadurch auch eher vor einem Rückfall ins andere Extrem gefeit, denn ich habe ja nur auf Weniges bewusst verzichtet und nicht mein ganzes Leben umgekrempelt.
Prüft alles und behaltet das Gute. (1. Thessalonicher 5,21) So lautetet die Jahreslosung für das immer noch frische Jahr 2025. Als Motto für das neue Jahr gelesen, klingt sie eher nach „Leben umkrempeln“: Alles anschauen, abwägen und dann entscheiden, was gut ist, was noch taugt und was ich getrost entsorgen kann. Einmal Ausmisten bitte!
Wie beim Fasten gibt es aber auch beim Entrümpeln und Aussortieren ganz unterschiedliche Menschentypen. Während die einen, erstmal in Schwung gekommen, beherzt alles auf den Kopf stellen, sich leichten Herzens von altem Ballast trennen können und sich danach über sortierte Schränke und ein aufgeräumtes Haus freuen, nehmen andere jedes einzelne Stück noch einmal in die Hand, erinnern sich daran, was sie damit verbinden, und manches wandert dann eher wieder zurück in den Schrank, als dass es mit leiser Wehmut entsorgt wird.
Prüft alles und behaltet das Gute. Wenn ich unter diesem Motto in das neue Jahr starte und den „trockenen Januar“ dazu nutze, mit wachem Blick auf mein Leben zu schauen, dann geht es dennoch nicht um ein radikales Überbordwerfen alter Gewohnheiten und Prinzipien, um eine Totalerneuerung. Sondern es geht um Augenmaß und Abwägen. Genau hinschauen: Was hat sich bewährt, was möchte ich nicht missen, was beschwert und belastete mich und was ist angestammte Gewohnheit, aber passt gar nicht mehr zu mir, zu meinem Leben. Manches, was einmal gut war, ist vielleicht überholt, oder nach und nach eher zur Last geworden. Wie beim Fasten ist es auch bei Veränderungen im Leben so, dass sie maßvoll oft leichter verträglich sind, sich besser umsetzen lassen und länger vorhalten.
Prüft alles und behaltet das Gute. Mit diesem Vorsatz ins neue Jahr zu starten bleibt dennoch eine Herausforderung! Gerade in Zeiten wie diesen, wo sich die Welt in einem Tempo verändert, dass Reformen oft schon überholt sind, bevor sie greifen, und die politischen Entwicklungen die allgemeine Verunsicherung noch erhöhen, ist die Sehnsucht nach Stabilität, nach Vertrautem groß.
Aber gerade da, wo wir uns ausgeliefert und machtlos fühlen und uns lieber ins Private zurückziehen, bringt eine bewusste Prüfung manchmal überraschende Ergebnisse: Wo lohnt sich das Aufregen und Meckern vielleicht gar nicht, und wo kann ich sehr wohl mit meiner Stimme oder meinem Engagement etwas bewirken? Denn wenn wir mit wachen und entschlacktem Blick auf die Welt, die uns umgibt schauen, dann gibt es trotz allem so viel, was schützens- und bewahrenswert ist, was ich persönlich nicht missen möchte, ein Leben in Freiheit und Demokratie zum Beispiel.
In diesem Sinne: Prüft alles und behaltet das Gute und Gottes Segen auf Ihren Wegen ins neue Jahr!
Es grüßt Sie aus Bad Gandersheim,
Ihre Pröpstin Meike Bräuer-Ehgart

