Wir, insbesondere diejenigen die nach den Jahren des Wirtschaftswunders geboren sind, erleben durch die Corona-Pandemie einen tiefen Eingriff in unsere bisherige Lebensweise und die bislang gelebten Selbstverständlichkeiten. Ein Blick in die Geschichte Delligsens zeigt, dass unsere Vorfahren sich im Jahr 1850 mit einer Cholera-Pandemie auseinandersetzen mussten.
Pastor Otto Stickel und Heinrich Sackmann berichten in ihrem Beitrag „Die Cholera wütet in Delligsen“ über die Ereignisse im Jahr 1850 in Delligsen:
"Es ist erschreckend, wie einst oft der Tod die Reihen der Dorfbewohner lichtete. Ohnmächtig stand die Bevölkerung den Epidemien gegenüber, bis es endlich kurz vor 1900 der medizinischen Wissenschaft gelang, den Krankheitserregern mit Impfstoff wirksam entgegenzutreten. Ausgewogene Ernährung, Sauberkeit, Licht, Luft und Sonne halfen ferner mit, die Krankheiten zu besiegen. In Delligsen erlagen früher sehr viele Menschen der Auszehrung (Lungenschwindsucht). Weitere Todesursachen waren hauptsächlich Bräune (Diphtherie), Wassersucht, Schlagfluß und Nervenfieber (Typhus). Zahllose kleine Kinder starben kurz nach der Geburt an Fieseln (Krämpfe) oder Schauerchen (Zahnkrämpfe). Zwischen 1800 und 1900 mußte fast jedes dritte Kind in den ersten Jahren zu Grabe getragen werden.
Das Sterberegister im Pfarramt berichtet von einer furchtbaren Seuche, die im Herbst 1850 in Delligsen auftrat. Es war die Brechruhr (Cholera), eine schwere Infektionskrankheit mit heftigen Brechdurchfällen, die angeblich von Alfeld eingeschleppt worden war. Binnen weniger Wochen mußten 109 Kinder und Erwachsene ihr Leben lassen.
Die erste Tote starb am 10 August 1850 im Alter von 34 Jahren. Am 12. September verlor ein Ehepaar ihr gerade vor drei Wochen geborenes Töchterlein. Acht Tage später mußten sie auch ihre zweite Tochter im zarten Alter von zwei Jahren hergeben. Können wir heute noch den Schmerz der Eltern nachfühlen? ...
Unbarmherzig trieb der Todesengel sein Werk und fragte nicht, ob jung oder alt, ob arm oder reich. ... Der Sargmacher und der Pastor kamen überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Trauerfeiern gab es nicht, die Leichen wurden so schnell wie möglich "in der Stille" beigesetzt. ...
Der Totengräber wurde am 21. August 1850 Opfer seines Berufes. Er hatte sich wohl bei seiner Arbeit infiziert und starb im Alter von 53 Jahren. Am 9. November 1850 starb eine Frau im Alter von 37 Jahren als letzte an der Cholera.
Viele Tränen sind in diesen Wochen in Delligsen geflossen und doch siegte immer wieder das Leben. ... Wie dankbar sollten wir für die moderne Medizin sein, auch sie ist eine Gabe Gottes!"
Quelle: „Geschichte der Delligser Kirche – Chronik aus Anlass der Jubiläumsfeier 1890-1990“ - Chronik aufgeschrieben aus Anlass der Jubiläumsfeier am 16.09.1990 zu 100jährigen Wiederkehr der Einweihung des Kirchenschiffs
Herausgeber: Ev.-luth. Kirchengemeinde Delligsen
Einige wenige Restexemplare sind noch im Pfarramt Delligsen vorhanden und können käuflich erworben werden.







